München (27.2.15) – Erklärung von MdB Dr. Peter Gauweiler und Prof. Dr. Dietrich Murswiek – Geschäftsführender Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg und Prozessbevollmächtigter vor dem Bundesverfassungsgericht

I. Vereinbarkeit mit dem bestehenden Memorandum of Understanding (MoU) und der bestehenden Finanzhilfevereinbarung?

1. Die beantragte Verlängerung der Laufzeit der bestehenden Finanzhilfevereinbarung (2. Griechenland-Rettungspaket) erfordert rechtlich eine Änderung der Finanzhilfevereinbarung („Vereinbarung über eine Hauptfinanzhilfefazilität“ / Master Financial Assistance Facility Agreement – MFAFA). Dafür ist gem. § 3 Abs. 2 Nr. 2 StabMechG die Zustimmung des Bundestages erforderlich.

Anmerkung zu diesem Parlamentsvorbehalt:

Das ursprüngliche Stabilitätsmechanismusgesetz (StabMechG) enthielt keinen solchen Parlamentsvorbehalt. Es sah in § 1 Abs. 4 lediglich folgendes vor:

(4) Vor Übernahme von Gewährleistungen nach Absatz 1 bemüht sich die Bundesregierung, Einvernehmen mit dem Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages herzustellen. Der Haushaltsausschuss hat das Recht zur Stellungnahme. Sofern aus zwingenden Gründen eine Gewährleistung bereits vor Herstellung eines Einvernehmens übernommen werden muss, ist der Haushaltsausschuss unverzüglich nachträglich zu unterrichten; die Unabweisbarkeit der Übernahme der Gewährleistung vor Herstellung des Einvernehmens ist eingehend zu begründen. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages ist darüber hinaus vierteljährlich über die übernommenen Gewährleistungen und die ordnungsgemäße Verwendung zu unterrichten.

Diese Regelung war verfassungswidrig. Sie wurde vom Bundesverfassungsgericht im „Rettungsschirm“-Urteil1 durch eine „verfassungskonforme Interpretation“ korrigiert, wonach eine vorherige Zustimmung des Haushaltsausschusses zwingend einzuholen ist. Mit der Frage, ob statt des Haushaltsausschusses das Plenum zuständig sein müsse, hat das Bundesverfassungsgericht sich in dieser Entscheidung aus prozessualen Gründen nicht befasst.

1 BVerfG, Urt. v. 7.9.2011 – 2 BvR 987/10 u.a. – „Rettungsschirm“, Abs.-Nr. 141 = BVerfGE 129, 124.

Da aber sich aus dem Zusammenhang der Entscheidung klar ergab, dass dem Bundestag im Ganzen die Haushaltsverantwortung zukam, konnte bei der Änderung des Stab- MechG im Zusammenhang mit der Aufstockung des „Rettungsschirms“ 2011 durchgesetzt werden, dass ein umfassender Parlamentsvorbehalt in das Gesetz aufgenommen wurde. Allerdings wurden weitreichende Befugnisse dem Sondergremium übertragen. Auch dies war verfassungswidrig, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Sondergremium feststellte2. Daraufhin wurde das Gesetz erneut angepasst und erhielt seine heutige Fassung.

2 BVerfG, Urt. v. 28.2.2012 – 2 BvE 8/11 – Sondergremium

3 BT-Drs. 18/3532 v. 15.12.2014, S. 3.

2. Die Finanzhilfevereinbarung ist rechtlich mit dem MoU verknüpft, durch welches ein makroökonomisches Anpassungsprogramm vereinbart wurde. Die EFSF darf beantragte Finanzhilfen erst auszahlen, nachdem die im MoU vereinbarten Bedingungen erfüllt worden sind (Abschnitt 5 Abs. 3 lit. d). Bereits im letzten Jahr hat der Bundestag eine Verlängerung des Programms – um zwei Monate – bewilligt. Die Verlängerung wurde damals damit begründet, dass die griechische Regierung noch etwas Zeit brauche, um die noch nicht erfüllten Reformschritte umzusetzen. In dem Antrag des BMF auf Verlängerung der Bereitstellungsfrist für das EFSF-Programm hieß es wörtlich3:

„Die Finanzministerinnen und Finanzminister der Eurozone (Eurogruppe) haben die positiven gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen, die Griechenland in letzter Zeit verzeichnen konnte, begrüßt.

Zudem hat die Eurogruppe die Fortschritte begrüßt, die die griechische Regierung hinsichtlich von Strukturreformen gemacht hat, die nach Einschätzung der Troika vor Abschluss der fünften Überprüfung noch umgesetzt werden müssen, um das Programm erfolgreich abzuschließen (vgl. Anlage 1 und Anlage 1a).

Allerdings kann die aktuelle Überprüfung trotz der jüngsten Fortschritte nicht mehr vor Jahresende abgeschlossen werden. Erst eine Verlängerung um bis zu zwei Monate würde nach Einschätzung der Eurogruppe ermöglichen, sämtliche aus Sicht der Troika noch notwendigen Maßnahmen umzusetzen.

Dies würde die Auszahlung des im Rahmen des laufenden EFSF-Programms ausstehenden Darlehensbetrags von 1,8 Mrd. Euro ermöglichen.

Griechenland hat daher eine Verlängerung der Bereitstellungfrist beantragt (vgl. Anlage 2 und Anlage2a). Die Eurogruppe hat zugesagt, den Verlängerungsantrag wohlwollend zu prüfen und Griechenland dazu aufgerufen, die noch ausstehenden Reformen so schnell wie möglich umzusetzen.

Die EFSF hat den Entwurf einer Änderung der bestehenden Finanzhilfevereinbarung übermittelt, der die Verlängerung der Bereitstellungsfrist bis zum 28. Februar 2015 vorsieht (vgl. Anlage 5 und Anlage 5a).

Die Bundesregierung befürwortet die vorgeschlagene Verlängerung der Bereitstellungsfrist. Die Auszahlung der letzten Tranche kann erst nach Erfüllung der von der Troika mit Griechenland vereinbarten Auflagen erfolgen.“

Der betreffende Beschluss des Bundestages ist kaum mehr als zwei Monate alt. Die Verlängerung hatte den Zweck, Zeit für die in der Finanzierungsvereinbarung vorgesehene Umsetzung der noch ausstehenden Reformschritte zu schaffen. Nun soll plötzlich eine Verlängerung um weitere vier Monate erfolgen. Aber nicht, um noch mehr Zeit zur Erfüllung der vereinbarten Reformen zu schaffen, sondern obwohl die neue griechische Regierung erklärt, bestimmte Reformen, zu denen die Vorgängerregierung sich verpflichtet hatte, nicht durchzuführen oder sogar rückgängig zu machen.

Es ist in keiner Weise ersichtlich, dass durch das Schreiben des griechischen Finanzministers, das am 24.2.2015 bekannt wurde und in welchem einige Absichtserklärungen mitgeteilt werden, die Erfüllung der im MoU vereinbarten Reformen sichergestellt wird.

Somit könnte, wenn Verstöße gegen geltendes Recht vermieden werden sollen, die ausstehende Tranche nur dann ausgezahlt werden, wenn zuvor das MoU geändert wird, was aber nicht der Fall ist. Tatsächlich wird die Verlängerung vom Bundestag „ins Blaue hinein“ beschlossen.

Anmerkung:

Der Text der dritten Änderungsvereinbarung (Third Amendment Agreement) zur Finanzhilfevereinbarung wurde nach längerem Drängen in einer Arbeitsübersetzung auch auf Deutsch vorgelegt. Der Bundestag sollte darauf bestehen, vor seiner Entscheidung eine verbindliche Übersetzung zu bekommen.

Auch auf Deutsch wird die Bedeutung dieses Textes für Nichtspezialisten nicht verständlich. Was der Öffentlichkeit mitgeteilt wurde, ist nur die Verlängerung der Finanzhilfe. Was hingegen sonst noch auf den 15 Seiten der Änderungsvereinbarung geregelt ist, erschließt sich dem Nichtspezialisten nicht. Der Bundestag stimmt also „blind“ einem Regelungskomplex zu, von dem ein wesentlicher Teil unverständlich ist.

II. Schuldentragfähigkeit

Die Gewährung von Hilfsdarlehen setzt die Schuldentragfähigkeit des begünstigten Staates voraus. Wenn von vornherein klar ist, dass der Schuldner nie in der Lage sein wird, das Darlehen zurückzuzahlen, darf das Darlehen nicht gewährt werden. Daher hat auch vor Vereinbarung der Finanzhilfe eine Schuldentragfähigkeitsprüfung stattgefunden. Nunmehr erklärt die neue griechische Regierung, dass Griechenland seit 2010 bankrott sei. Sowohl Ministerpräsident Tsipras als auch Finanzminister Varoufakis haben entsprechende Erklärungen abgegeben.

Der neuen griechischen Regierung muss man zugutehalten, dass sie als Erste die Unbefangenheit hat, diese schmerzhafte Wahrheit auszusprechen.

Aus einem Interview von ZEIT ONLINE vom 4. Februar 2015 mit dem griechischen Finanzminister Yanis Varoufakis:

VAROUFAKIS: „…Wenn wir glauben, dass die Rettungspolitik ein Fehler war, müssen wir sie ändern.“

ZEIT ONLINE: War sie ein Fehler?

VAROUFAKIS: „Ein riesiger Fehler. Griechenland ist unter seinen Schulden kollabiert. Wie sind wir damit umgegangen? Wir haben einem überschuldeten Staat noch mehr Kredite gegeben. Stellen sie sich vor, einer ihrer Freunde verliert seinen Job und kann seine Hypothek nicht mehr bezahlen. Würden Sie ihm einen weiteren Kredit geben, damit er die Raten für sein Haus abbezahlt? Das kann nicht funktionieren. Ich bin der Finanzminister eines bankrotten Landes!“

Aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags von dieser Woche (WD4-3000-031/15) geht davon hervor, dass sich die Einschätzung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands durch die Institutionen seit 2010 laufend verschlechtert hat – trotz zweier „Schuldenschnitte“. Dies spricht für die Richtigkeit der oben zitierte Aussage des neuen Finanzminister Varoufakis. Falls der Bundestag sich entschließt, der Verlängerung zuzustimmen, müsste er dies daher zumindest unter den Vorbehalt einer erneuten Prüfung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands stellen. Nachdem Zweifel an der Validität der diesbezüglichen Prüfungen bestehen, muss betont werden, dass von Schuldentragfähigkeit keine Rede sein kann, wenn diese durch Hilfeleistungen erst hergestellt würde.

Anmerkung:

Dem Bundestag wurde ein zentrales Dokument, ohne dass das laufende Finanzhilfeprogramm nicht beurteilt werden kann, nicht zur Verfügung gestellt, nämlich die Schuldentragfähigkeitsanalyse des IWF für Griechenland aus dem Jahr 2012. Diese war vor 3 Jahren nur den Mitgliedern des Haushaltsausschusses und des Europaausschusses zugänglich gemacht worden (siehe Schreiben des BMF – des Parlamentarischen Staatssekretärs Kampeter – vom 19.3.2012 an die Vorsitzende des Haushaltsausschusses, Ausschussdrucksache 17(21)0994, und den Vorsitzenden des Europaausschusses). Sie wurde damals den Abgeordneten nicht übersandt, sondern in die Geheimschutzstelle eingestellt. Dort ist sie gemäß Auskunft von dieser Woche an MdB Dr. Gauweiler nicht mehr einsehbar, sondern wurde geschreddert – angeblich, weil sie aus der vergangenen Legislaturperiode stamme. Zwischenzeitlich ist dieses in Berlin als „geheim“ eingestuftes 200 seitige Dokument vom IWF in englischer Sprache auf seine Interseite gestellt worden (http://www.imf.org/GGTSPU-ad1a3001.bmf.intern.netz-4552-5140556-c0Av5CBgW5MTC97E-DAT/external/pubs/ft/scr/2012/cr1257.pdf).

Der Bundestag kann seiner Haushaltsverantwortung nicht nachkommen, wenn ihm zentrale Dokumente nicht zugänglich sind, ohne die die Rechtmäßigkeit und die politische Zweckmäßigkeit von Finanzhilfen nicht beurteilt werden können.

Die CSU-Landesgruppe hat auf Antrag von MdB Dr. Gauweiler gestern (25. Februar 2015) einstimmig beschlossen: „Angesichts der Äußerungen der neuen griechischen Regierung braucht es eine erneute Prüfung der Schuldentragfähigkeit Griechenlands“.

III. Perspektiven nach Auslaufen des verlängerten Programms

Griechenland-Hilfen sind gleichwohl unter dem Gesichtspunkt der Solidarität geboten und auch ökonomisch sinnvoll, wenn es eine Perspektive für eine langfristige und nachhaltige Gesundung des Staates – seiner Finanzen und seiner Wirtschaft – gibt. Statt zu einer Insolvenz muss es zu einer Resolvenz Griechenlands kommen können, also zur Bildung einer neuen wirtschaftlichen Grundlage.

Dafür muss man jedoch erkennen, dass es sich nicht um ein reines Liquiditätsproblem handelt, sondern dass es einer neuen ökonomischen Struktur bedarf und dass für deren Werden das bisherige Rettungsschirm-Troika-System schon wegen seiner Fremdbestimmtheit kontraproduktiv war.

Hierzu bedarf es jedoch des politischen Erkenntnisgewinns aller beteiligten Euro-Staaten, insbesondere auch der Bundesrepublik Deutschland und der sie tragenden Parteien.

Ein weiteres „Hilfsprogramm“ durch den ESM nach bisherigem Zuschnitt wird nicht nur – wie bisher – ökonomisch illusionär und kontraproduktiv, sondern – soweit sich das heute beurteilen lässt – rechtlich nicht möglich sein. Denn ESM-Hilfen sind nur zulässig, wenn zwei fundamentale Voraussetzungen erfüllt sind:

Erstens machen der ESM-Vertrag und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Finanzhilfen davon abhängig, dass dies „zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt unabdingbar“ ist. Es reicht also nicht aus, dass ein einzelner Eurostaat – Griechenland – in finanziellen Schwierigkeiten ist, sondern als Folge davon müsste die Finanzstabilität der gesamten Eurozone in einem solchen Maße gefährdet sein, dass ESM-Hilfen unabdingbar sind. „Unabdingbar“ sind sie dann, wenn sie unbedingt notwendig zur Abwendung dieser Gefahr sind, wenn es also nicht möglich ist, auf andere Weise die Finanzstabilität der Eurozone zu gewährleisten.

Es ist heute Konsens, dass im Falle der Insolvenz Griechenlands mit keinen erheblichen Erschütterungen zu rechnen wäre. Denn anders als damals sind heute Banken anderer Eurostaaten nicht mehr in erheblichem Umfang in griechischen Staatsanleihen investiert, so dass keine Bankpleiten in anderen Staaten drohen. Somit ist ein neues Hilfspaket für Griechenland nicht unabdingbar, um die Finanzstabilität der Eurozone zu sichern.

Zweitens sind Finanzhilfen nach dem ESM-Vertrag nur zulässig, wenn die Staatsverschuldung tragfähig ist. Dies wird, wie schon erwähnt, von der griechischen Regierung selbst in Abrede gestellt.

Die politischen Entscheidungsträger des Euro-Raums müssen also zu einer grundlegenden Korrektur ihrer Rettungspolitik bereit sein. Das Eingeständnis mit dieser Politik auf das falsche Pferd gesetzt zu haben und einen neuen Kurs ausarbeiten zu müssen, würde der Politik nicht schaden. Ganz im Gegenteil würde es dazu führen, dass die Menschen wieder Vertrauen in die politische Klasse zurückgewinnen.

  ifo-Präsident Sinn kritisiert Euro-Finanzminister

ifo-Präsident Hans-Werner Sinn hat den Beschluss der Euro-Finanzminister zu Griechenland kritisiert. „Zusätzliches Geld ist nichts als ein Schmerzmittel für die griechische Krankheit und trägt nicht zur Heilung bei“, sagte er am Samstag in München. „Griechenland wurde durch den Euro zu teuer und muss nun billiger werden, um seine Wettbewerbsfähigkeit zurück zu erlangen. Das geht nur durch den Austritt aus dem Euro und die Abwertung der Drachme.“

Das ifo Institut empfiehlt Griechenland, die Bedingungen für einen geordneten Austritt aus dem Euro-Raum auszuhandeln. „Dazu gehören ein Schulden-Moratorium zur Verringerung der Schulden des griechischen Staates, der Geschäftsbanken und der Notenbank. Ein Hilfsprogramm für die Anfangszeit zur Abmilderung der Preissteigerung bei medizinischen Importen. Ein Programm zur späteren Rückkehr in die Eurozone, wenn die nötigen Reformen umgesetzt sind und der Drachme-Kurs sein Gleichgewicht gefunden hat. Gleichzeitig sollte Griechenland als assoziatives Mitglied ohne Stimmrecht im Eurosystem bleiben“, sagte Sinn.

Die Fortsetzung des Rettungsprogramms unter erleichterten Bedingungen gebe der griechischen Regierung zwar Zeit für das Aushandeln eines Nachfolgeprogramms, fügte er hinzu. „Aber die Kredite der anderen Staaten verhindern die dringend  notwendige Preisanpassung. Sie schieben den Zeitpunkt für den Offenbarungseid nur noch weiter hinaus.“ Für die Steuerzahler Europas entstünden auf diese Weise noch höhere Lasten. „Und die griechische Bevölkerung muss noch länger unter der Massenarbeitslosigkeit leiden. Das ist der untaugliche Versuch, die Gesetze der Ökonomie durch das Primat der Politik überwinden zu wollen. Die Arbeitslosenquote in Griechenland sei heute doppelt so hoch wie vor fünf Jahren, als die erste Grexit-Diskussion begann. Und das, obwohl oder weil sich die Schulden Griechenlands bei der Europäischen Zentralbank und der Staatengemeinschaft inzwischen verfünffacht hätten. Sie lägen bei 263 Milliarden Euro oder 143 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung. „Die bisherige Rettungspolitik hat nicht funktioniert“, sagte Sinn.“